Karma - Gedanken zu einem missverstandenen Begriff

© Oliver Ohanecian

Inhalt:

Ego-Krankheiten
Eine kleine Liebesgeschichte
Spiritualität vs. Privatreligion
Die Leerheit der Erscheinungen

Emotionen und Energie
Was ist Karma?
Vom Umgang mit Karma

 


Ego-Krankheiten

Einer der am meisten missverstandenen Begriffe auf dem esoterischen Markt im allgemeinen und in esoterischen Kulten im besonderen ist der Begriff Karma. Üblicherweise gibt er Anlass zu allerlei oberflächlichem Geschwätz mit simplen Vorstellungen von metaphysischen Bankkonten - sicherlich kein Zufall in kapitalistisch-materialistischen Gesellschaften. Mir geht es gut - tja, is gutes Karma. Jeder hat sein eigenes Konto mit viel, wenig oder gar keinem Guthaben. Selbstverständlich ist das Guthaben "spiritueller" Personen, die z.B. in einen Hexenkult initiiert und daher Angehörige einer naturreligiösen "Elite" sind, in vielen Fällen offenbar besonders groß, denn es ist von früheren Inkarnationen ererbt. Dieses Guthaben also, mit dem man sich auf mysteriöse Weise selber beerbt, scheint sich auch nicht zu verringern und erfordert daher keinen besonderen persönlichen Einsatz. Anderen geht es schlecht? Was geht es mich an, die sind selber schuld, das ist ihr Karma, sie haben nicht über viele Leben hinweg Guthaben gehortet. Sie sind also selber schuld.

Neben diesem Bankkonto gibt es aber auch, so scheint es, noch eine andere Vorstellung, die ich an dieser Stelle einmal als "Frau-Holle-Prinzip" bezeichnen will. Über dem Einzelnen wird hierbei, abhängig natürlich vom Ausmaß der Intimität der Beziehung zur "Göttin", Karma nach Goldmarie-und-Pechmarie-Art ausgeschüttet: Wenn ich immer lieb bin, bekomme ich gutes Karma, wenn ich aber nicht lieb bin, dann bekomme ich schlechtes Karma - Zuckerbrot und Peitsche. Wenn ich lieb bin, gibt mir die Mami ein Stück Kuchen. Lieb sein, so scheint es oft, hat hierbei allerdings meistens etwas zu tun mit billigen, ganz individuellen Rechtfertigungen, weniger mit allgemeingültigen Handlungsmaximen. Ich bin gerecht, also lieb, weil ich im Recht bin - ich muss es nur rechtfertigen können. Kein Problem, wenn ich jederzeit intuitiv weiß, was richtig ist (und ich weiß das natürlich - und die, die das nicht wissen, sind die Leute mit den schlechten Beziehungen und/oder dem schlechten Bankkonto). Intuition äußert sich für gewöhnlich als "so´n Gefühl" --- wie auch sonst!? Und wenn jemand anderes auf die gleiche Weise handelt, ich mich aber davon gestört fühle, dann ist beides natürlich auf gar keinen Fall vergleichbar, denn jeder weiß ja: Wenn zwei das gleiche tun, dann ist es noch lange nicht dasselbe. Es liegt auf der Hand, dass der Störenfried jemand ist, der aufgrund seines Karmakontos und seiner schlechten Beziehungen (natürlich in aller objektiven Klarheit erfühlt vom Gestörten) auf gar keinen Fall das Recht hat so zu handeln, wie man selber es bei ähnlichen Gelegenheiten zu tun pflegt. Man selber ist also das Goldkind mit den guten Beziehungen zur Göttin und entsprechend gutem Karma und der Störenfried ist das Arschloch mit dem schlechten Karma.

Überhaupt klingt "schlechtes Karma" wie eine Art Krankheit. Man bekommt es so ähnlich wie z.B. eine Grippe. Außerdem scheint "Karma" in vielen Fällen hauptsächlich sowieso zu tun zu haben mit eigenem Wohlbefinden und anderer Leute Unglück: Wenn es mir selber finanziell (gesundheitlich etc.) gut geht, dann ist das gutes Karma und wenn mein nerviger Nachbar erst mit Grippe im Bett liegt und dann an einer Lungenentzündung stirbt, dann wirkt sich natürlich (zu meiner Genugtuung) sein schlechtes Karma so aus. Geht es mir hingegen beispielsweise finanziell nicht so gut, während mein unangenehmer Nachbar sich eine goldene Nase verdient, dann hat das meist nichts mit Karma zu tun sondern damit, dass die Gesellschaft so gemein ist, Europa von den bösen Christen beherrscht wird o.ä.

Was ich hier so überspitzt formuliere, ist tatsächlich ein Prinzip, das mir immer wieder begegnet. Diese Vorstellung von Karma ist letztlich nichts anderes, als ein Hilfsmittel zur Abgrenzung eines ängstlichen und daher überheblichen Ego von einer als feindlich oder inferior gedeuteten Umwelt. Ähnlich verhält es sich auch mit den zum Karma-Begriff gehörenden Vorstellungen von Wiedergeburt: Ein merkwürdig dauerhaftes Ego legt seinen Körper ab und wabert zu einem neuen. Und da dieses Ego offenbar seit jeher gewisse Vorlieben hatte und überhaupt schon immer sehr romantisch war, suchte es sich im Laufe der Jahrtausende natürlich meist die Körper ägyptischer Pharaonen/Prinzessinen, sibirischer SchamanInnen, indianischer Medizinmänner und -frauen u.ä. Und Egos, deren Romantik schon immer ein wenig düsterer war, verkörpern sich natürlich als wiederkehrende Finsterlinge. Legion sind ja bekanntermaßen die (bisweilen etwas verwahrlost wirkenden) Reinkarnationen des armen Aleister Crowley - viele von uns kennen sicher die ein oder andere tragische Gestalt, die ihren Mangel an Persönlichkeit und Kraft über die Identifikation mit einem interessanten Menschen wie Crowley zu kompensieren versucht. Und das alles passiert für gewöhnlich auf der Basis der immer gleichen Reinkarnationsphantasie: der Körper stirbt, das Ego bewegt sich wie in einer Karmablase durch eine Zwischenwelt, landet dann wieder - plumps! - im Schoß einer Frau und bleibt ganz die alte Person im neuen Outfit, aber mit wenigstens unverändertem metaphysischem Bankkonto - damit man selber wieder genug Geld und Spaß hat und in Ruhe zusehen kann, wie der doofe Nachbar zur rechten Zeit an der Grippe stirbt.

Auf diese Weise werden sowohl der Karma-, als auch der Reinkarnationsbegriff, die eigentlich sehr klar zeigen, dass die Welt tiefgründig und wundervoll ist, zu reinem Gift.

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Eine kleine Liebesgeschichte

Man sollte nun meinen, der metaphysischen Raffgier sei an dieser Stelle genug getan. Weit gefehlt: man möchte nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit anderen über tausende von Jahren zusammen bleiben (von Ewigkeit zu Ewigkeit eben!). Hierzu ein kleines Beispiel: Eine Frau und ein Mann, nennen wir sie mal Kathrin und Michael, treffen sich auf - sagen wir einer Sonnenwendfeier. Beide sind seit einiger Zeit partnerlos und neigen dazu, ihre ewige Liebe in der Welt zu suchen. Sie treffen sich also (schon wieder), finden sich attraktiv (immer noch), halten das für Liebe (der Déjà-vu-Effekt), landen im Bett (wie zuvor im Heu, Wald o.ä.), haben daselbst ein wenig Sex. Sie stellen eine gewisse Übereinstimmung ihrer romantischen Phantasien fest und verlieben sich folgerichtig in das, was sie im anderen zu kennen glauben. Sie treffen sich also auch weiterhin, feiern eine "Heilige Hochzeit" nach der anderen und projizieren ihre Vorstellungen auf sich selbst und den Partner. So wird sie also kurzerhand die Frau aller Frauen (die Göttin) und er wird der Mann aller Männer (der Gott). Dieser Zustand wird nun kombiniert mit wirren Vorstellungen von Karma und Reinkarnation. Michael und Kathrin verwandeln sich in Tristan und Isolde --- und vor ihnen liegt die Ewigkeit (was auch sonst!?). Gewiss werden sie (als Kathrin und Michael?) in alle Ewigkeit miteinander verbunden bleiben. Über den Tod hinaus --- über alle Tode hinaus --- halt in alle Ewigkeit.

Dies also bildet die Basis eines Dramas, das sich jetzt langsam zur Tragödie entfalten kann. Denn nun verbringen sie jede freie Minute miteinander. Ewige Liebe bedeutet ja schließlich, dass man nicht mehr voneinander lassen kann, will und darf. Und natürlich braucht man sich wie die Luft zum atmen. Ein jeder braucht nunmehr den anderen, wie Narziss sein Spiegelbild.

Leider hat Existenz die Eigenart, niemals wirklich derartigen Idealen zu entsprechen. Stets weigert sich dieses Miststück, sich solchen romantischen Vorstellungen anzupassen. Immer gibt es Abweichungen. Unter der glatten Oberfläche der Harmonie gibt es Kanten und mehr und mehr muss sich unser Pärchen die Dinge schönreden - ein jeder für sich. So langsam wird es aufgrund der jeweiligen psychischen Strickmuster explosiv. Unsere Kathrin fühlt sich vielleicht eingeengt und bedroht, wenn sie mal Kompromisse eingehen oder sich selber hinterfragen muss. Besser nicht! Schließlich wollte sie stets aus der breiten Masse herausragen und wollte sich nie einfügen in die Enge eines Frauenbildes, in dem die Frau gehorsame Handlangerin ihres Mannes ist, etwa so, wie es vielleicht bei Kathrins Mutter oder Großmutter der Fall war. Außerdem ist sie ja heidnische Priesterin, also die Repräsentantin der Göttin, quasi die Göttin selbst - und dadurch immer im Recht. Die Konsequenz scheint zu lauten: Tu wozu du Lust hast und setze dich zur Wehr, wenn Du dabei auf Grenzen stößt, denn Grenzen sind ein Synonym für patriarchale Unterdrückung.

Und Michael? Nun, der hat vielleicht nie gelernt wirklich zu sich selber zu stehen und sein Kopf ist möglicherweise übervoll von absurden Kriegerphantasien und damit verbundenen Vorstellungen davon, was z.B. Ehre sei. So bringt er es nicht fertig, seine im romantischen Überschwang gemachten Äußerungen ein wenig zu revidieren und zu sagen: Die Frau meines Lebens existiert leider nur in meinem Kopf und hat mit der tatsächlichen Person nicht besonders viel zu tun. Darüber hinaus ist in unserem Beispiel sein Ego noch nicht gar so sehr übermäßig aufgebläht wie das ihre, d.h. er sieht sich noch nicht als Gott und kann daher dem grandiosen Ego seiner "Geliebten" noch nicht genug entgegensetzen.

So lügen sich beide in die Tasche, um nur ja den romantischen Schein zu wahren --- bis einer von beiden sich in den Phantasien seiner grotesk aufgeblähten (dabei dennoch sehr instabilen) Egowelt verloren hat und der andere sich umbringt, weil er den andauernden Selbstverrat nicht mehr ertragen kann und Angst vor der Konsequenz einer einfachen Trennung hat.

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Spiritualität vs. Privatreligion

Und was hat all das nun mit Karma und Reinkarnation zu tun? Nichts. Und gleichzeitig auf einer etwas anderen Ebene sehr viel, denn das, was ich hier geschildert habe, ist Ausdruck und weitere Ursache negativen Karmas, wie ich später noch zeigen werde. Die geschilderten Vorstellungen sind zunächst nichts weiter, als unreflektierte Phantasien. Es hat nichts zu tun mit dem, was die Begriffe Karma und Reinkarnation bedeuten, damit, wie sie tatsächlich seit tausenden von Jahren in wirklichen alten Traditionen verstanden werden. Im Grunde hat es nicht einmal allzu viel mit Spiritualität zu tun. Spiritualität, die sich auf blanken Eskapismus in private Phantasiewelten beschränkt, ist keine Spiritualität, sondern bestenfalls gläubige Privatreligiosität.

Echte Spiritualität hat m.E. zu tun mit umfassender und damit transpersonaler Wirklichkeit, ist dadurch zwar sehr wohl auch durch die Mittel der Sprache und der Logik ausdrückbar, liegt jedoch jenseits aller kulturellen und sprachlichen Begrenzungen. Darüber hinaus bildet ein spirituelles System, das sprachliche Equivalent also zu inneren Erfahrungen mit dem Absoluten, eine sprachliche und bildliche Einheit, in der sich die Begriffe gegenseitig erklären, so dass über die logisch-begriffliche Form die Erfahrung des hinter allen Begriffen stehenden Absoluten reproduziert werden kann. Da es um dieses Absolute geht, ergeben sich, bei Auslassung spezieller kultureller Komponenten (z.B. sozialer Normen, die ebenfalls in so ein System eingebaut sein können), trotz sprachlicher Unterschiede Parallelen in den verschiedenen spirituellen Systemen, denn das Absolute selber bleibt immer gleich, nur die sprachlichen Äquivalente sind - aufgrund der Relativität von Sprache - verschieden. Dem gegenüber stehen private Ego-Welten, die, da sie in religiösen Vokabeln und abhängig von Lust und Unlust lediglich die Innenwelt eines Egos zum Ausdruck bringen, oft kaum mehr sind, als bloße Flickenteppiche aus unzusammenhängenden Konzepten. Vielleicht rührt daher die in Esokreisen so sehr grassierende Neigung zur Intellektfeindlichkeit, da diese Begriffsgebilde in sich zu instabil sind, als dass sie einer Hinterfragung standhalten könnten.

In der neuen Esoterik stehen also so allerlei Konzepte stets merkwürdig isoliert und undifferenziert nebeneinander: Karma - Reinkarnation - Natur ist Heilig - Göttin und Gott - Magie - der Kreis - feindliche Christen - Umweltzerstörung - Unterdrückung - Stadt - Naturvölker - Aggressoren - Opfer etc. Mittendrin steht die neuheidnische Person, dualistisch wertend: Ist selber naturreligiös, Priesterin oder Priester und eins mit der Natur; steht dadurch neben den "Naturvölkern", ist damit Opfer und gehört nicht zu den Tätern; verehrt Göttin und Gott, betreibt Magie und hat dadurch Intuition; kann durch die Intuition, die sich als "so´n Gefühl" äußert und immer im Recht ist, festlegen, wer zu den Feinden und Tätern zählt; Feinde und Täter agieren gegen die Natur; Aggression gegen die Feinde und Täter ist Verteidigung der Natur; das, was verteidigt wird, ist die Natur, die Natur sind die Götter, die Götter sind das eigene Selbst... Selbst-Verteidigung. Dienst an den Göttern ist somit Dienst am eigenen Selbst. Wird das eigene Selbst als Gottheit betrachtet, wird folglich jeder, der diesem grandiosen Selbst nicht genehm ist zum Feind. Dies ist der vollkommene, spirituell verbrämte Egotrip, spiritueller Materialismus, die perfekte Pervertierung von Spiritualität und Einheit mit der Natur.

Ich will an dieser Stelle nur kurz einwerfen, dass natürlich letztlich auch der bei dieser Sichtweise verwendete Naturbegriff nicht das geringste mit Natur im absoluten (und dadurch auch heiligen) Sinne zu tun hat, denn es handelt sich lediglich um ein ego- und anthropozentrisches Idealbild, dessen Wert einzig aus dem Bezug zum Ego und dem damit verbundenen Lustgewinn resultiert. Die wirkliche Natur schließt alle Erscheinungen mit ein und ist in keiner Weise vom Menschen antastbar, da er selber in jeder Hinsicht ein untrennbarer Teil dieser Natur ist. Unterscheidungen z.B. in Natur und Stadt sind ein Ding der Unmöglichkeit und ein Begriff wie "Naturzerstörung" eigentlich absurd. Alles, was der Mensch zerstören kann, ist seine Lebenswelt, somit seine eigene Existenzgrundlage und somit in letzter Konsequenz sich selbst, niemals aber die Natur. So schafft die Menschheit ein Karma, das sie selbst verschwinden lässt. Und insgesamt gesehen wäre das ja vielleicht sogar gut.

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Die Leerheit der Erscheinungen

Doch zurück zum Thema. Karma in seiner eigentlichen Bedeutung zu begreifen, bedeutet zu verstehen, was es wirklich auf sich hat mit der Einheit aller Dinge. Und ein wichtiges Hilfsmittel kann hierbei das Symbol des magischen Kreises (sanskrit: Mandala) mit seiner Elementeaufteilung sein, aber dazu kommen wir später. Karma ist ein Sanskritwort und bedeutet wörtlich "Tat". Will man verstehen, was damit gemeint ist, hält man sich zunächst einmal vor Augen, dass alle Erscheinungen leer sind. Leerheit ist die Grundlage von allem. Manch einer mag hier fragen: Was soll das jetzt wieder heißen? Nun, Leerheit ist nicht das Nichts, sondern sie ist Ausdruck für den Urgrund. Leerheit ist das, was alle Erscheinungen verbindet. Leerheit ist die Leerheit der Erscheinungen von inhärenter Eigenexistenz; d.h. der Glaube, dass die Erscheinungen der Dingwelt unabhängige Größen darstellen, ist eine Illusion. Zwei Punkte gilt es zu erkennen: 1) Dinge entstehen in Abhängigkeit von anderen Dingen und bleiben in dieser Abhängigkeit bis zu ihrem eigenen Verschwinden. 2) die Erscheinungen sind zusammengesetzt, das heißt Dinge bestehen aus Dingen bestehen aus Dingen etc. pp. Das bedeutet, dass alles relativ ist, also in Beziehung zu etwas anderem existiert. Diesem Relativen steht die Leerheit als das Absolute gegenüber, oder besser: alles Relative ist vom Absoluten der Leerheit durchdrungen.

Nehmen wir zur Verdeutlichung einmal unseren fiktiven Michael aus dem oben genannten Beispiel: Die Erscheinung Michael ist weder eine eigenständige, noch eine in irgendeiner Beziehung unabhängige Größe. Er ist zusammengesetzt aus Millionen Zellen. Um existieren zu können, braucht er ein bestimmtes Gasgemisch zum atmen, das in seiner Zusammensetzung keine allzu großen Abweichungen zugunsten eines einzelnen seiner Bestandteile aufweisen darf. Er braucht eine bestimmte Temperatur. Bereits relativ geringe Verschiebungen nach oben oder unten auf der Temperaturskala würden ihn verbrennen oder erfrieren lassen. Er benötigt regelmäßige Zufuhr von Wasser und fester Nahrung (die ihrerseits eine bestimmte Beschaffenheit aufweisen müssen) und die regelmäßige Ausscheidung der aus dem Verarbeitungsprozess entstehenden Schlacken. Auf diese Weise entsteht und vergeht der Körper in Abhängigkeit. Aber nicht nur der Körper allein. Ausnahmslos alles an unserem Michael ist ununterbrochen in Bewegung und Wandel. In jedem Augenblick sterben abertausende seiner Zellen, während andere, neue sich bilden. In jedem Moment werden all seine Überzeugungen und Erfahrungen von ihm angewandt, geprüft, korrigiert und bei Bedarf durch neue ersetzt. Seine Person ist wie alles andere auch ein ununterbrochener Prozess des Wandels. Blickte er zurück, er würde feststellen, dass der erwachsene Mann Michael in keiner Hinsicht identisch ist mit irgendeiner seiner früheren Erscheinungsweisen, da zu jedem früheren Zeitpunkt sich alle seine Bestandteile von allen Bestandteilen des jetzigen Michael unterschieden (ausgenommen seine DNS, die man als Schablone des Formaspektes betrachten kann). Dies alles gilt sowohl in physischer, wie auch in psychischer Hinsicht.

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Emotionen und Energie

So nun verhält es sich mit der ganzen Person. Die Emotionen etwa sind abhängig von erlernten Deutungsmustern, von Maßstäben, geglaubten Idealen u.ä. Gerade Emotionen werden ja in der Esoszene so gerne überbewertet, als eigenständige Größen, als etwas Absolutes also betrachtet - aber genau das sind sie nicht. Wären sie das, so wären sie bei allen Menschen in allen Kulturen und Kontexten gleich. Sind sie aber nicht. Sie sind noch nicht einmal in einem einzigen kulturellen Kontext bei allen Menschen gleich. Und das ist so, weil sie erlernt sind. Sie haben ihre Grundlage in den Deutungsmustern, die sich zurückführen lassen auf den Dualismus Gut/Schlecht. Diese Deutungsmuster unterscheiden sich von Kultur zu Kultur, von Familie zu Familie, von Person zu Person. Emotion ist im Kern nichts anderes als reine, ungefärbte Energie, die erst durch Konditionierung ihre Färbung erhält und zu etwas wird, das man "Emotion" nennt. Allerdings, um hier sofort einem weiteren möglichen Missverständnis vorzubeugen, heißt das nicht, das Emotion die Erfahrung von Energie im egozentrischen Sinne - "meine Emotion ist Energie" - ist (womit wir dann wahrscheinlich wieder bei diesem dubiosen "Fühlen" wären), sondern dies ist eine Erscheinungsform von Energie - genauso wie Denken und Wahrnehmung oder auch das, was als scheinbar äußere Welt erscheint.

Mit "Energie" sind wir hier nun auch bei einem weiteren, für unser Thema relevanten Schlüsselbegriff. Zurück also zum magischen Kreis. In der heute allgemein verbreiteten Variante haben wir die Aufteilung in vier Elemente: Erde, Wasser, Feuer und Luft. Ich füge nun, ganz Traditionalist, an dieser Stelle noch ein fünftes hinzu: den Raum, das Element der Integration. Diese fünf Elemente nun meinen natürlich nicht nur die Erscheinungen, die wir mit unseren menschlichen Sinnen unter diesen Bezeichnungen wahrnehmen, sondern sie meinen sehr viel mehr. Sie bezeichnen energetische Qualitäten. Ein jedes Element ist in seiner Essenz Licht und äußert sich sowohl als äußeres Element, wie auch als Bewusstseinsfaktor. Als Bewusstseinsfaktor ist Erde das Prinzip der Form, Wasser ist Empfindung (als wahrnehmende Qualität, nicht Gefühlsduselei!), Feuer ist unterscheidendes Gewahrsein, Luft ist der Gedankenstrom und Raum ist absolutes Bewusstsein, das all dies umfasst und beinhaltet. Aus diesen fünf Elementen besteht alles. Aber es besteht nicht statisch (wie es offenbar viele gerne hätten - womit sie einfach nur beweisen, dass sie in christlichen Strukturen denken), sondern ist ununterbrochene Bewegung, wie Wolken am Himmel. So kommen wir hiermit auch auf noch eine weitere Bedeutung von Leerheit: Die Negation der Existenz kleinster Teilchen. Wenngleich wir auch eine materielle Welt wahrnehmen, die fest zu sein scheint, ist doch ihre wahre Natur reine Energie. Es gibt keine kleinen, festen Materieteilchen, aus denen Materie zusammengeklumpt ist.

Hier mag vielleicht auch klar werden, dass manchen Personen die im Westen so weit verbreitete Idee (christlichen Ursprungs, sofern es Europa betrifft) einer Trennung von Geist und Materie als etwas komplett absurdes erscheint. Dies schließt natürlich auch gerade das Phänomen des spirituellen Materialismus mit ein.

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Was ist Karma?

An dieser Stelle haben wir jetzt also drei Punkte soweit geklärt (hoffentlich!): Die Leerheit der Erscheinungen, die Zusammengesetztheit der Erscheinungen, den Wandel der Erscheinungen als Bewegung der fünf Energien, also die Negation kleinster Teilchen. Kommen wir also nun zu einer weiteren Dreiheit: Die drei Ebenen unserer Existenz als Menschen. Die drei Ebenen, um die es hier geht sind Körper, Energie (korrespondierend zur Stimme) und Geist, wobei der Geist die Grundlage bildet. "Geist" bedeutet hierbei aber nicht z.B. Intellekt oder so etwas. Geist bedeutet hier absolutes, kontinuierliches Bewusstsein - die (überindividuelle!) Grundlage. Intellekt und Gedankenstrom gehören einem anderen Bereich an, dem sogenannten konzeptuellen Geist, der vor allem mit dem Bewusstseinsfaktor Luft verbunden ist.

Auf diesen drei Ebenen entsteht Karma. Wie bereits erwähnt, bedeutet der Begriff Karma "Tat" - und genau darum geht es hier. Die individuelle Erscheinung ist bereits in ihrer Gesamtheit der Ausdruck früherer karmischer Impulse, die jetzt zur Reife gelangt sind. Teil dieses Karmas sind auch die für vollkommen wahr und dauerhaft gehaltenen Konzepte, nach denen die Welt interpretiert wird. Diese Interpretationen wirken ihrerseits auf die Art, wie die Welt wahrgenommen wird, die damit verbundenen Emotionen und die daraus resultierende Interaktion mit der Erscheinungswelt. Anders ausgedrückt: In unserem Geist entwickeln wir Konzepte, die wir für wahre Abbildungen der Welt halten; auf der Ebene unserer Energie formen wir diese Konzepte weiter aus zu immer mehr inneren Bildern und damit verbundenen Emotionen, die wir schließlich auch sprachlich ausdrücken; zu guter Letzt folgt dann die entsprechende körperliche Handlung. Wo alle drei Ebenen beteiligt sind, ist volles Karma erfüllt.

Wir bewegen uns in einem Netz vollkommener gegenseitiger Bedingtheit, das bereits ein einziger gigantischer Ausdruck von Karma ist. Karma bedeutet, dass wir in dieser gewaltigen, ständig bewegten Energiewolke genannt Welt einen energetischen Impuls setzen, der zur Veränderung des gesamten Musters beiträgt. Die Art der Veränderungen, die so entstehen, und die Art, wie all dies dann auf uns zurückwirkt und wie wir es erleben, ist Karma, das zur Reife gelangt. Der von uns gesetzte Impuls ist dann am machtvollsten, wenn alle drei Daseinsebenen gleichermaßen beteiligt sind. Sehr grob vereinfacht könnte man sagen, dass "Karma" soviel bedeutet wie "Denk- und Handlungsgewohnheiten, die zu Veränderungen in der erlebten Welt führen". Karma lässt sich vergleichen mit einer Eisenbahn: Die Lokomotive ist das erlebende Ego, das sich für eine eigenständige Größe hält, die Schienen sind die Gewohnheiten im Denken, Reden und Handeln und die Landschaften, in die das ganze führt, sind das reifende Karma.

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Vom Umgang mit Karma

Mir scheint, dass Menschen, die sich als "naturreligiös" bezeichnen, geradezu verpflichtet sind, über diese Dinge einmal ehrlich nachzudenken, denn Aussagen wie "alles ist miteinander verbunden" oder "die Göttin ist das Leben und sie ist der Ursprung von allem" o.ä. bleiben reine Phantasmen und hohle Phrasen, wenn nicht über tiefe Reflektion (mit Einbeziehung formeller Logik) und echte Meditation (also nicht nur das schlichte Ausmalen hübscher bunter Märchenbilder!) ein tatsächliches Verständnis entsteht, dem dann kompromisslos die individuelle Lebenswelt angepasst werden muss. Ein Prozess, der sicher nicht ganz einfach und teilweise sogar ausgesprochen schmerzhaft ist, denn man muss lernen, vor sich selber vollkommen aufrichtig und auch streng zu werden. Wir müssen dann z.B. genau durchleuchten, wo wir in unserem Denken auf die ewiggleichen europäischen Denk- und Deutungsmuster zurückgreifen, die seit Jahrhunderten so viel zerstören und - das mag ein wenig ketzerisch erscheinen - auch in heidnische Zeiten zurückreicht. Einfach nur "heidnische" Worte und Parolen zu verwenden macht einen nicht zum naturreligiösen Heiden. Und der schlichte Versuch, eine romantisierte Vergangenheit wieder zu beleben ist eigentlich nur albern und ignorant. Die europäische Gesellschaft hat sich in den letzten 1500 Jahren weiterentwickelt - und nicht nur zum Negativen. "Zeit" ist ein mächtiger Aspekt des Wandels, Wandel ist eine magische Eigenschaft der Natur, also ist die Vorstellung, Zeit zurückdrehen zu wollen widernatürlich! Wessen "Naturreligiosität" sich also darauf beschränkt, eine angeblich so wunderbare vorchristliche Vergangenheit zu beschwören und in seiner Freizeit einen heidnischen Barbaren zu spielen, der ist widernatürlicher und weiter von echter Naturreligiosität entfernt, als manch ein aufrichtiger Katholik, für den die Welt eine Schöpfung Gottes und damit ein Wunder ist - und diese Art Christen, das sollte einmal zur Kenntnis genommen werden, gibt es auch!

Notwendig ist also achtsame Selbstreflektion. Hierbei sollten die Begriffe "Relativ" und "Absolut" in das Denken unbedingt einbezogen werden. "Relativ" bezeichnet Konzepte, die abhängig sind von einer Kultur und einem Punkt in der Zeit, "Absolut" hingegen ist das Umfassende, alles einschließende --- und in gewisser Hinsicht dann auch Aussagen, die darauf verweisen. Diese beiden Begriffe können dann als Messlatten für "spirituelle" Aussagen dienen. Eine Aussage etwa wie z.B. "Wir atmen die große, allumfassende Liebe" ist an eben diesen Messlatten nichts als kompletter Nonsens. Warum? Weil hierbei eine äußerst schwammige Emotion, die in extremer Form von Zeit, Kultur, Sichtweisen etc. abhängig ist, in die Welt projiziert wird. Die Empfindung, die wir gemeinhin mit "Liebe" bezeichnen, ist der absoluten Welt nicht inhärent. "Liebe" bezeichnet eine Form von Emotion, die Zugehörigkeit und Fürsorge zum Ausdruck bringt, also Eigenschaften, die sich an sozialen Arten, wie dem Menschen etwa, finden und dafür sorgen, dass ein Zusammenleben der Individuen - trotz ihrer dualistischen Getrenntheit - überhaupt möglich ist. Somit betrifft sie in jeder Hinsicht den Bereich des Relativen. Sicherlich ist es gut, wenn sich eine solche Empfindung, die fähig ist, alle Erscheinungen gleichermaßen liebend wahrzunehmen, in uns entwickelt, aber wir müssen auch erkennen, dass sich eine solche Haltung nicht künstlich herbeiführen lässt (was herbeigeführt wird, ist einfach nur gekünstelt) und nicht der Welt inhärent ist. Eine solche Empfindung der inklusiven Liebe ist die natürliche Folge echter Spiritualität, in deren Zentrum die Entwicklung eines Geistes steht, der weit, offen und klar, also nicht befleckt von dualistischen Konzepten aller Art, die Welt als Spiegelung des Göttlichen und somit seiner eigenen (überindividuellen!) Natur wahrnimmt. Diese Wahrnehmung führt zu der Erkenntnis, dass alle Erscheinungen im Kern gleichermaßen rein und schön sind. Dadurch schließlich können wir in positive Kommunikation mit den Ebenen der wirklichen Welt treten. Und das ist Spiritualität und Magie.

Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass die Auseinandersetzung mit Karma in seiner eigentlichen Bedeutung m.E. wirklich dazu führen kann, den Käfig der Konzepte zu überwinden und dadurch die Entwicklung einer reiferen Persönlichkeit einzuleiten, die dann auch für alle anderen von höchstem Nutzen ist - und dieser Nutzen ist etwas, was in allen Kulturen die Magier und Schamanen auszeichnet. Der oben geschilderte spirituelle Materialismus ist letztlich nur ein weiterer Beitrag zu der hasserfüllten Zerstörungswut, die unsere ganze Welt durchzieht und mit deren Folgen wir beim Betrachten der Tagesnachrichten oder auch bei einem einfachen Waldspaziergang konfrontiert werden. Hier hilft kein Lamentieren und keine Flucht in märchenhafte Phantasiewelten. Indem wir diese Dinge wahrnehmen, sehen wir Aspekte unserer selbst, denn wir sind untrennbar mit allem verbunden. Wer also spirituelle Naturreligiosität leben will, der soll die Einswerdung mit der wunderbaren Welt anstreben und die Denkmuster von Egozentrik, Hass, Zerspaltung etc. überwinden lernen. Indem wir uns selber so verändern, verändern wir die Welt.

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